SCHIENENBUSSE UND DIESEL-TRIEBWAGEN IN POLEN

Die Geschichte der polnischen Schienenbusse und dieselgetriebenen Triebfahrzeuge ist die Geschichte einer beispielhaften Anbindung ländlicher Regionen an das Hauptnetz der Staatsbahn PKP. Es ist aber auch die Geschichte erheblicher konzeptioneller Fehler, deren negative Folgen bis heute spürbar sind.

Eine vorbildliche Entwicklung nahmen die Fahrpläne der PKP, als sie zu Beginn der 60er Jahre den Schienenbus mit der polnischen Bezeichnung SN61 in großer Stückzahl bestellte. Dieses Fahrzeug wurde in Ungarn gemäß den Anforderungen der PKP als Fortentwicklung des Vorgängers der Baureihe MsCmix (polnische Bezeichnung SN52/60) konstruiert, welcher von dort Mitte der 50er Jahre ausgeliefert worden war. Der SN61 hatte einen recht leistungsstarken Motor. Zunächst bediente er daher auch Expresszugrelationen. Später konzentrierte sich sein Einsatzbereich auf die Ballungszentren um Gdansk (Danzig) und Szczecin (Stettin).

(SN61-545 in Kwidzyn)

SN61 - HAUPTDATEN

Achsfolge Bo'Bo' Sitzplätze 48+5
Motor 12JV17/24 Höchstgeschwindigkeit 100 km/h
Nennleistung 367 kW Raddurchmesser 940 mm
Übertragung mechanisch Dienstgewicht 57,8 t/54,4 t
Heizsystem Ganz 540L5 Länge über Puffer 24.215 mm

Der Triebwagen war von vornherein darauf ausgelegt, bis zu drei Reisezug-Personenwagen zu ziehen. Daher wurde er mit einem Heizkessel des amerikanischen Typs "Clayton" ausgestattet, was ihm unter Eisenbahnern schnell den entsprechenden Spitznamen eintrug. Bei einem Fassungsvermögen des Tanks von 550 Litern Diesel konnten auch größere Strecken ohne Zwischentanken problemlos bewältigt werden.

INVENTARNUMMERN PRODUZENT BAUJAHRE ANZAHL
SN61-01...70, 131...200 Ganz-MAVAG 1960-61, 69-72 140
SN61-71...130 MVG 1963-65 60
SN61-500...549 Ganz-MAVAG 1971-75 50

Der ungarische 12-Zylinder-Motor (500 PS, 1250 U/min.) wurde ab der Ordnungsnummer 500 durch einen in Warschau hergestellten Henschel-Lizenzmotor der Type 13H12A ersetzt.

Diese PKP-Dokumentarfotos belegen den für die damalige Zeit relativ hohen Komfort des Triebfahrzeugs.

Nachteile der Konstruktion waren u.a. ein relativ grosser Geräuschpegel in den Wagen, eine schlechte Raumausnutzung u.a. durch zu grosses Gepäckabteil sowie eine zu hohe Verschleissanfälligkeit der Fahrzeuge. Die PKP hatte geplant gehabt, 1959 und 1960 bereits 25 Schienenbusse landeseigener Produktion des Produzenten CEGIELSKI Poznan zu erhalten. Diese Fahrzeuge wurden SN80 (5M) genannt. Da aber der devisenträchtige Import der dazu nötigen Getriebe eingestellt wurde, konnten insgesamt nur 13 Einheiten dieser moderneren Wagen hergestellt werden. Einer von ihnen (Nr. 12) ist heute noch an seiner ehemaligen Einsatzstelle in Leszno beheimatet. Auch die durch das Zentrale Konstruktionsbüro CBK vorangetriebene Alternativentwicklung eines modernen dieselelektrischen polnischen Schienenbusses (mit Getriebe 201M) wurde nicht weiter verfolgt. Mit Anfang der 90er Jahre stellte die PKP den Betrieb der trotz aller Fehler beliebten Triebwagen der Baureihe SN61 vollständig ein, weil auch für die Bedienung der Nebenbahnstrecken einer Bespannung durch Diesellokomotiven der Vorzug gegeben wurde. Eine gesetzliche Möglichkeit für Museumseisenbahner oder private kommerzielle Unternehmen, selber Bahntransporte zu übernehmen, gab es in Polen nicht. Deshalb konnten auch - anders als etwa in Deutschland - keine SN61-Fahrzeuge durch private Interessenten gerettet werden. Auch Werbeaktionen seitens INTERLOK in Westeuropa trugen damals noch keine Früchte. So wurde der gesamte SN61-Fuhrpark der PKP verschrottet. Nur zwei Fahrzeuge sind heute noch in Polen im musealen Einsatz der PKP tätig.

MIT DÄNISCHEN EXPRESS-TRIEBZÜGEN RUMPELND DURCHS POLNISCHE GRAS...

Einen mutigen Versuch zur Rettung und Wiederbelebung der Nebenbahnstrecken in Westpolen startete Anfang der 90er Jahre die erste PRIVATBAHN Polens, die staatliche kommunale "Lebuser Regionalbahn" (Lobuska Kolej Regionalna, LKR). Sie wurde durch das Lebuser Regierungspräsidium (Wojewodschaft Lobuskie) gegründet und schuf sich von Anfang an Feinde in der Staatsbahn PKP, da sie u.a. auch Leitungspersonal der PKP abwarb (nur, wo sonst hätte das Fachpersonal herkommen können...?) In einen in europäischen Eisenbahnkreisen vielbeachteten und bestaunten mutigen Coup erwarb die LKR mehrteilige moderne Dieseltriebzüge der Dänischen Staatbahn DSB, die legendären "Lyntogs" (Blitze). Diese Fahrzeuge waren in den 60er Jahren für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h durch Wegmann/Kassel hergestellt worden. Ihre Instandsetzung übernahm das Reparaturwerk ZNTK Poznan, dessen Auslandsvertretung zu jener Zeit der INTERLOK-Gründer Hermann Schmidtendorf übernommen hatte. Am 24.4.1993 warteten noch einige Lyntogs auf dem Werksgelände in Poznan auf ihre Aufarbeitung, während andere Einheiten bereits mit neuer Farbgebung und neuem Firmenemblem an die LKR ausgeliefert worden waren.

Foto: Heym

Bewunderungswürdig waren die Instandsetzungsarbeiten der Fachleute in Poznan, da die Lyntogs ohne komplette Konstruktionspläne nach Polen kamen, mit Kisten voller nicht beschrifteter Ersatzteile und Handbüchern auf ...Dänisch.

Einen Zustandbericht zum Einsatz der Lyntogs in Polen veröffentlichte Hermann Schmidtendorf in der Ausgabe 12/1993 des eisenbahn magazins (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion).

Eine Einheit der Lyntogs besteht aus vier Komponenten: einem futuristisch anmutenden Triebwagen (MA 460-470):

einem durch Gummiwulst kuppelfähigen Steuerwagen (BS 480-489)

sowie Mittelwagen der 2. Klasse (BM 520-525) und der 1. Klasse (AM 500-509). Dazu kamen noch Barwagen.

Doch angesichts der diskriminierenden Blockadehaltung seitens der PKP hatte die Regionalbahn LKR keine Chance. Entgegen den Zusagen konnte die LKR nur solche Strecken pachten oder mitbenutzen, auf denen die Lyntogs kaum mehr als 40 km/h fahren konnten. Es wurden nur solche Abend- und Nachtrelationen zugelassen, die schon für die PKP unrentabel waren. Ergebnis: Die LKR musste 1994 Konkurs anmelden.

Nun begann das nächste Kapitel des Trauerspiels. Der Konkursverwalter der LKR bot INTERLOK den gesamten Lyntog-Fuhrpark inclusive Ersatzteilen zu äußerst günstigen Preisen an - je fahrtüchtige Vierereinheit für um die 60.000 EUR.

Doch der Privatmarkt war für solche Fahrzeuge in Westeuropa offenbar noch nicht reif. Als einziger Kaufinteressent meldete sich bei INTERLOK ein sehr gut informierter Deutscher, der als Insasse in einem deutschen ... GEFÄNGNIS einsaß! Nicht zuletzt sicher auf Grund seiner "beengten" Lebensumstände und der wohl fehlenden Finanzen kam es mit diesem Interessenten zu keinem Kaufabschluss. Ergebnis: Der Konkursverwalter der LKR verkaufte die attraktiven Triebfahrzeuggarnituren zum Schrottpreis als ... GARTENLAUBEN und ÜBERGANGSHEIM FÜR POLNISCHE OBDACHLOSE!

HEYM

STAATSBAHN: KEIN GELD FÜR SCHIENENBUSSE

Auf der Grundlage eines eigenen Motorwagens für Inspektionsfahrten und den Transport von Arbeiterbrigaden konstruierte 1988 der Betrieb Kolzam einen zweigliedrigen Schienenbus mit der Bezeichnung SN81. Auf Grund von Geldmangel seitens der PKP konnten hiervon nur 5 Exemplare hergestellt werden.

Eine andere, moderne Konstruktion präsentierte das Werk ZNTK Poznan 1990. Es schuf den zweigliedrigen Schienenbus SA101. Zunächst kamen hier vor allem polnische Baugruppen zum Einsatz. Deren starke Reparaturanflligkeit führte jedoch schnell dazu, dass sie durch westeuropäische Komponenten vor allem aus Deutschland ersetzt wurden. Die Fortentwicklung dieser Baureihe bildete der komplett auf westlichen Komponenten basierende dreigliedrige Schienenbus SA 102. Die Konstrukteure legten Wert darauf, dass der Wagen im Gegensatz zum Vorläufermodell komplett durchgängig begehbar ist und dem Fahrer einen Kontrollüberblick über den gesamten Fahrgastraum gibt.

HAUPTKENNDATEN SA 101 und SA 102

  SA 101 SA 102 BEIDE FAHRZEUGE  
Achsfolge 1'A'+1'1' 1'A'+1'1'+A'1' Motor Deutz BF6L513RC
Nennleistung 200 kW 2 x 200 kW Übertragung hydraulisch
Sitzplätze 96 144 / 140 Getriebe Voith T211 rz
Dienstgewicht 54 t 82 t Höchstgeschwindigkeit 90 km/h
Länge über Puffer 30.920 mm 45.940 mm Raddurchmesser 920 mm

Die zweigliedrigen Schienenbusse SA101 wurden dem PKP-Depot Chojnice zugeteilt, welches zuvor schon die letzten SN61-Fahrzeuge beheimatet hatte. Unsere Fotos zeigen den Prototyp des Triebwagens - SA101-001 mit Beiwagen SA121-001 - in Naklo (Nakel), wo im Bahnhofsbereich 1992 noch die inzwischen eingestellte 600-mm-Schmalspurbahn das Bild bestimmte.

Der dreigliedrige Prototyp SA102-001 wurde dem Depot Jelenia Góra (Hirschberg) überstellt. Von dort aus unternimmt er fahrplanmäßig u.a. Fahrten in das gebirgige Grenzland zu Tschechien bis hin zur polnischen Grenzstadt Lubawka (Liebau), wo die folgende Aufnahme entstand.

Die Schienenbusse des ZNTK Poznan weisen eine moderne Gestaltung der Führerkabine und ein für die 90er Jahre ansprechendes Design auf.

Die Produktion ist exakt organisiert und sauber.

Im Vergleich zu den spartanischen Hartschalensitzen der zweiteiligen Version weist die Fortentwicklung schon bequeme Polstersitze auf, wenn auch in der hier gezeigten Form und Farbgebung nur für die 1. Klasse.

Trotz der energiesparenden Konstruktion des Fahrzeugs kaufte die Staatsbahn PKP aus Geldmangel von beiden Varianten der Schienenbusse nur je 3 Garnituren. So werden weiter Strecken stillgelegt: In 2002 spricht die PKP von etwa 7000 km Streckennetz, dass entweder eingestellt oder von kommunalen und privaten Trägern übernommen werden soll. Die gesetzliche Grundlage hierzu ist inzwischen mit dem polnischen "Gesetz über den Eisenbahntransport" geschaffen. Für den verstärkten Einsatz von Schienenbussen spricht deutlich eine weitere Zahl: Etwa 3000 Streckenkilometer der PKP sind nach eigenen Angaben derart sanierungsbedürftig, dass sie eigentlich stillgelegt werden müßten. Die Anzahl der zustandsbedingten Langsamfahrstellen nimmt immer mehr zu. Für den schlechten Zustand mitverantwortlich sind außer dem chronischen Geldmangel der PKP auch die Personentransporte mit relativ schweren Dieselloks anstatt mit leichteren Schienenbussen.

SCHIENENBUSSE - RETTUNG DES POLNISCHEN NAHVERKEHRS

2001 und 2002 haben mehrere polnische Bahnproduzenten ihre Antwort auf die Fahrzeugmisere bei der PKP vorgestellt: Prototypen zwei- und vierachsiger Schienenbusse mit ca. 40 bis 90 Sitzplätzen je nach Fahrzeug. Hoffnung gibt das neue Finanzierungsgesetz, das Bestellung und Finanzierung des regionalen Personenverkehrs offiziell in die Hände der Regierungsbezirke (Wojewodschaften) legt. Das vierachsige Modell "Partner" verzeichnete schon einen Erfolg: Im Juli wurden die ersten 7 Exemplare für den Einsatz im nordwestpolnischen Regionalverkehr bestellt. Wie auch bei den anderen neukonzipierten Fahrzeugen ist ein Niederflurbereich im Türbereich vorhanden, wesentliche Komponenten kommen aus Westeuropa.

PARTNER

Der "Regio Tramp" (213M-1) ist ein weiteres Konzept. In seiner 2-teiligen Variante wird der zweiachsige Wagen SA 108 genannt. Dieses Fahrzeug, das bereits in mehreren Exemplaren für den Einsatz im Raum Grosspolen produziert wurde, besitzt wie auch der "Partner" einen MAN-Motor und ein Voith-Getriebe.

GRÖSSER>>>

Die polnischen Schienenbusse der jüngsten Generation sind nach den Bedürfnissen der polnischen Regionalverkehre konstruiert und besitzen derzeit noch keine Zulassung durch westeuropäische Bahnaufsichtsbehörden wie beispielsweise das deutsche EBA. INTERLOK bemüht sich jedoch in Kooperation mit den Produzenten um eine deutsche Zulassung und um die Konzipierung von Varianten der Fahrzeuge, die speziell den Bedürfnissen westlicher Fahrbetriebe entgegenkommen. Anfragen sind willkommen. ( 15 Aufnahmen: H. Schmidtendorf)

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