POLNISCHE EISENBAHNMUSEUMS- UND TOURISMUS-

SZENE 2005

Hermann Schmidtendorf / PL

 

Auf der FEDECRAIL-Jahreshauptversammlung 2004 in LEIDEN / Niederlande wurde unser polnisches Eisenbahn-Reparaturwerk INTERLOK GmbH in PILA als assoziiertes Mitglied aufgenommen.  Wir sehen es als eine unserer Aufgaben, ein Verbindungsglied zu sein zwischen der europäischen Eisenbahngemeinschaft und der polnischen Eisenbahnmuseums- und Tourismusszene. Der Mangel an Fremdsprachenkenntnissen wie auch die Konzentrierung auf interne Probleme haben es bisher unmöglich gemacht, die polnischen Eisenbahnfreunde in intensiveren Kontakt mit der wohletablierten Szene in der EU zu bringen. Es gibt keine gesamtpolnische Vertretung, was sicher teilweise auch mit den unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure zu tun hat. Die folgenden Anmerkungen sollen eine Einführung in die polnische Bahnszene sein, die einen Dialog mit ihr ermöglicht.

 

 

1. NATIONALES EISENBAHNMUSEUM IN WARSCHAU

Diese Institution vereint eine einzigartige Sammlung von Bahnmodellen wie auch verschiedener Aspekte der polnischen Eisenbahngeschichte in ihrem Gebäude, dem ehemaligen Bahnhof Warszawa Centralna. Vor dem Gebäude ist eine große Sammlung normalspuriger Dampflokomotiven polnischer, deutscher, britischer und amerikanischer Herkunft abgestellt. Die Verwaltungsreform von 1999 hatte negative Folgen für den juristischen Status dieser Institution. Sie war nicht mehr ein Museum der Staatsbahn PKP, sondern wurde der Warschauer Wojewodschaft (Regionalverwaltung) zugeschlagen. Dies schuf ein logisches Problem: Ist es wirklich die Aufgabe der Warschauer Regionalverwaltung, nicht nur in Polens Hauptstadt historische Dampflokomotiven zu sammeln, sondern auch im gesamten Lande, einschließlich einiger der Lokomotiven der Museen in Wolsztyn, Jaworzyna Sląska, Chabówka (Normalspur) sowie der Museen von Gryfice (1000 mm Spurweite) und Sochaczew (750 mm)? Die Juristen der Verwaltung sagten natürlich: NEIN.

Politiker entschuldigten sich für das geschaffene Chaos und versprachen eine Revision des Status des Museums. Der nationale Transportminister unterschrieb sogar den Bericht einer Kommission, welcher dem Museum die kostenfreie Zuteilung eines neuen Gebäudes einige hundert Meter vom bisherigen Standort einschließlich eines neuen Standorts für die Dampfloksammlung zubilligte. Doch nichts geschah. Stattdessen informierte die PKP-Hauptverwaltung das Museum, dass es im Laufe des Jahres 2004 ins Niemandsland umzuziehen habe, da die PKP das Bahnhofsgebäude Warszawa Centralna mitsamt des Lokstandorts an eine Baufirma verkauft hat, welche dort ein Einkaufs- und Bürohochhaus erreichten will. Anfang 2005 scheint ein Kompromiss gefunden worden zu sein, so dass das Museum an einem nahe gelegenen Platz weiter arbeiten können wird.

 

 

2. NORMALSPUR-MUSEEN

Das Museum von Chabówka im Süden von Kraków (Krakau) sowie das zu PKP Cargo gehörende Museum von Wolsztyn betreiben Dampfzüge. Das Chabówka-Museum wurde von der örtlichen Stadtverwaltung übernommen, unterhält aber weiterhin gute Kontakte mit PKP Cargo. Chabówka, das PKP-BW Gniezno sowie INTERLOK GmbH haben PKP-Zulassungen erhalten, die ihnen Revisionen für auf dem nationalen Streckennetz laufende Dampflokomotiven gestatten. Nur Interlok hat tatsächlich die Fachleute sowie zusätzliche Zulassungen, um Hauptrevisionen an Dampfkesseln einschließlich Kesselneubau nach polnischen oder europäischen Vorschriften durchführen zu können (auch nach der EU-Pressure Equipment Directive PED). Interlok kann ebenfalls neue Dampfzylinder und andere Hauptkomponenten von Dampflokomotiven herstellen. Als Ergebnis des andauernden Streits zwischen dem Warschauer Museum und der PKP wird keine private oder Warschauer Museumslokomotive mehr zu  Gnesener „Niedrigpreis-/Niedrigqualitäts-“ Reparaturen mehr angenommen. Interlok revidierte daher kürzlich die Ok22-31 aus Wolsztyn für „The Wolsztyn Experience“. Im Laufe des Jahres 2005 revidierte Interlok bereits eine 1000-mm-spurige Px48 aus Gryfice / Rewal und eine 750mm-spurige Px49 aus Sochaczew. PKP CARGO gehören nach wie vor einige der weniger historischen  Wolsztyn-Dampflokomotiven, und die Firma besteht darauf, im eigenen BW in Gniezno nur noch die eigenen Dampflokomotiven aufzuarbeiten. Interlok hatte ihnen schon in der Vergangenheit bei Kesselarbeiten zur Seite gestanden und steht auch in Kontakt mit Chabówka für eventuelle Reparaturen, welche deren technische Möglichkeiten übersteigen. PKP Cargo diskutiert ebenfalls Reparaturen eigener Dampflokomotiven bei Interlok. Das Hauptproblem bei polnischen Reparaturaufträgen, der Mangel an Finanzen, scheint langsam weniger drückend zu werden. 

Interlok beabsichtigt eine Erweiterung seiner Aktivitäten, u.a. durch Ausbau des Technikdenkmals auf dem Gelände des BWs in Pila, des alten Schneidemühler Lokrundschuppens der OSTBAHN (Berlin - Königsberg), zu einem regionalen Dampfzentrum. Daher bietet die Gesellschaft derzeit neue Anteile für Eisenbahnfreunde aus ganz Europa zum Kauf an.

Das PKP-Museum von Jaworzyna Sląska (Niederschlesien) ist durch die örtliche Stadtverwaltung übernommen worden, was auf einen weiteren Unterhalt dieser einzigartigen Dampflokomotivsammlung hoffen lässt, welche britische und amerikanische Lokomotiven des II. Weltkriegs einschließt.

 

In der Stadt Skierniewice im Südwesten von Warschau hält eine Gruppe von Enthusiasten eine private Lokomotivsammlung im Ringschuppen des ehemaligen PKP-BWs vor. Die Gruppe ist mit der Warschauer “Polnischen Vereinigung der Eisenbahnfreunde” (Polskie Stowarzyszenie Milosników Kolei) verbunden. Die andere wirkungsvolle Enthusiastengruppe mit einer eigenen Eiasenbahnsammlung arbeitet im PKP-BW Pyskowice in Schlesien. Mit diesen Gruppen gibt es 32 örtliche Eisenbahnfreunde-Gruppen in Polen – siehe die Webseite http://www.kolej.pl/forum/kluby.html.

Diese Gruppen unterstützen den örtlichen Tourismus, Straßenbahn- und Eisenbahndenkmäler oder vereinen Modellbahn-Freunde. Die meisten von ihnen betreiben selber keinen Eisenbahn- oder Straßenbahnverkehr. Wie ihr Name sagt, sind sie vor allem Bahnfreunde und keine Bahnbetreiber. 

Weiterhin gibt es die Warschauer „Stiftung des Dampfzeitalters“ (“Fundacja Wieku Pary“), die vor allem Künstler, Politiker und Geschäftsleute mit Sympathie für die Dampfepoche vereint. Diese Stiftung betreibt ebenfalls selbst keinen Zugverkehr.

 

3. SCHMALSPUREISENBAHNEN

Im Jahre 2001 wurde die PKP gesetzlich verpflichtet, die zahlreichen Schmalspurstrecken an Lokalverwaltungen oder Privatgesellschaften zu übergeben oder aber sie zu schließen. Regionalparlamente und Verwaltungen erkannten oftmals den Wert dieser Bahnen für den Tourismus. Erste Privatisierungen fanden statt.

Ein  generelles Problem der polnischen Schmalspurbahnen  ist die Tatsache, dass das geltende Eisenbahnrecht zwischen Normalspur und Schmalspur nicht differenziert. Formell müssen alle Betreiber z.B. von 5 km Personenverkehr auf einer Schmalspurbahn eine Staatslizenz kaufen müssen, die dasselbe kostet wie beispielsweise wie die nationale Lizenz der PKP für den normalspurigen Intercity-Betrieb oder eine nationale Güterverkehrs-Lizenz.

Das Gute bei allem Bösen: Gemeinsame Protestaktionen der polnischen Schmalspurlinien überzeugten sie, dass es sinnvoll wäre, in näherer Zukunft eine landesweite „Polnische Vereinigung der Schmalspurbahnen“ zu gründen. Die vier Schmalspurbetreiber von Rewal, Znin, Gniezno und Sroda haben bereits begonnen, sich zusammenzuschließen.

 

Bis heute besitzt die einzige Lizenz für Personenverkehr innerhalb der Museumsszene die Gesellschaft "SKPL" (Stowarzyszenie Kolejowych Przewozów Lokalnych / Vereinigung der lokalen Eisenbahntransporte). Diese junge Gesellschaft entstand aus einer in Kalisz beheimateten Gruppe von Eisenbahnfreunden, die zur Gründung ihres eigenen kommerziellen Unternehmens gezwungen war, um legal Zugverkehr betreiben zu können.

 

Bis heute betreiben sie Zugverkehr auf folgenden 750 mm Strecken:

-          (1) Kalisz,

-          (2) Krosniewice,

-          (3) Naleczów,

-          (4) Przeworsk,

-          (5) Smigiel,

-          (6) Koszalin.

 

Stadt- und Regionalverwaltungen betreiben Zugverkehr auf folgenden 750 mm-Strecken:

-          (F) Elk,

-          (L) Sroda Wlkp

-          (Q) Sochaczew (Eisenbahn-Museum Warschau).

 

Betrieb durch örtliche Gruppen von Bahnfreunden:

-          (D) Nowy Dwór Gdanski,

-          (H) Piotrków Trybunalski,

-          (R) Mlawa; Jedrzejów,

-          (N) Gniezno – Anastazewo

 

oder Betrieb durch eine Waldbahn-Stiftung:

-          Cisna.

 

Diese Eisenbahn erklärt, dass sie keine neue Betreiberlizenz kaufen müsse, weil sie nach dem guten alten kommunistischen “Waldbahn-Gesetz” fährt, das halböffentlichen Personenverkehr für Mitarbeiter erlaubte.

 

Auf Meterspur gibt es zwei Linien:

-          (A) Das Pommersche Netzwerk von Gryfice wird betrieben durch die Stadtverwaltung von Rewal.

-          (E) Die Strecke um Piaseczno wird betrieben durch die Gesellschaft einer örtlichen Gruppe von Bahnfreunden.

 

Folgende 600 mm-Strecken sind zu nennen:

-          (B) Bialosliwie:

Diese Strecke in der Nachbarschaft von PILA verlief früher über mehr als 150 malerische Kilometer. Heutzutage können noch etwa 30 km genutzt werden. Bis heute schaffte es die PKP nicht, die Regionalisierungs-Prozedur zugunsten der Lokalverwaltung zu Ende zu führen, so dass der örtliche Eisenbahnverein, in welchem Interlok aktives Mitglied ist,  nicht in die Lage versetzt ist, regelmäßige öffentliche Touristenzüge organisieren zu dürfen. Züge werden mit polnischen Dieselloks betrieben sowie von Zeit zu Zeit mit einer O+K-Dampflok aus dem Bestand des Modellbahner-Vereins Poznań (Posen).

 

-          (C) Znin:

Diese Strecke wird durch die örtliche Stadtverwaltung betrieben. Sie führt zur wertvollen Lokomotivsammlung des Freiluftmuseums von WENECJA, von wo aus man das nahegelegene Archäologiemuseum von BISKUPIN besichtigen kann – mit den Ursprüngen des slawischen Polen.

 

-          (G) Hajnówka bei Bialystok:

Diese malerische Strecke führt durch den Bialowieza-Urwald und wird durch die örtliche Forstverwaltung betrieben. Sonderzüge beinhalten einen „Überfall“ durch „Sowjetische Kommunistische Bewaffnete Armeeeinheiten“, die mit Kalaschnikows in der Luft herumfuchteln und auf russisch sowie radebrechend englisch schreien, die Touristen würden ins ferne Haftlager nach Sibirien verfrachtet.  Doch bevor das Schlimmste eintritt, werden die Touristen eingeladen, mit den Soldaten einen Wodka zu trinken…

 

-          (J) Oberschlesische Schmalspurbahn

Eine örtliche Gruppe von Eisenbahnfreunden hat auch Teile des 785 mm-Netzes der früheren  „Oberschlesischen Schmalspurbahn“ revitalisiert.

-          Es gibt mehrere Parkeisenbahnen, vor allem auf 600 mm Spurweite, wie in POZNAŃ,  

             BYDGOSZCZ (Bromberg) und CHORZÓW (KÖNIGSHÜTTE).

 

Die Zahlen und Buchstaben in Klammern beziehen sich auf die Polen-Landkarte, die auf einer Schweizer Webseite dargestellt wird:

www.info-polen.com/reiseführer/schmalspurbahn.php

 

 

Wir würden uns freuen, wenn dieser Bericht verdeutlicht: Polen hat bereits eine reiche Erfahrung in der Eisenbahn-Museumsszene und gebührt mit Recht Aufmerksamkeit!

 

Hermann Schmidtendorf ist Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Interlok, Piła/PL

Mehr Informationen unter: www.interlok.info