LOKREPORT 11/2001

 

Marek Furtacz, Henryk Godzisz: Dampflokomotiven der Serie Ty2 mit Kohlevergasung                       - FORTSETZUNG-

 

 

Ausgangspunkt für die Experimente war die Anfang der 80er Jahre in der Volksrepublik Polen um sich greifende Krise bei der Mineralölversorgung. Das Verkehrsministerium der VR Polen beschloss damals die Durchführung von Versuchen mit modifizierten Dampflokkesseln. Die Modernisierung der Feuerung von Dampflokomotiven der Serie Ty2 sollte ihre energetische Effektivität um mehrere Prozent steigern und somit den Kohleverbrauch und die Betriebskosten verringern. Bei positiv ausfallenden Versuchen war der Umbau von etwa 100 Dampflokomotiven der Reihe Ty2 vorgesehen.

Die Erarbeitung der Konstruktion wurde der Polytechnischen Hochschule in Warschau übertragen, speziell dem Institut für Fahrzeuge sowie dem Institut für Wärmetechnik[1]. Ausführender der Arbeiten war Prof. Dr. Henryk Re,kawek. Er hatte am Institut für Fahrzeuge im Bereich Schienenfahrzeuge die Polytechnische Hochschule Warschau abgeschlossen, später war er Leiter des Konstruktionsbüros im Atomenergie-Forschungsreaktor Swierk. An der Hochschule hatte Prof. Re,kawek mit Professor Sobolewski, dem Vater der polnischen Nachkriegs-Dampflokomotiven, zusammengearbeitet. Daher schien er für Modernisierungen von Dampflokomotiven prädestiniert. Prof. Re,kawek war mit entsprechenden Modernisierungen, wie sie die bekannten Konstrukteure Livio Dante Porta u.a. in Argentinien und David Wardale in Südafrika durchgeführt hatten, vertraut.[2]

Insbesondere interessierte er sich für die Arbeiten L. D. Portas, der die Kohlevergasung in Regelkesseln für Dampflokomotiven zur Betriebsreife entwickelt hatte. In die Arbeiten einbezogen wurde das Warschauer „Zentrale Eisenbahn-Forschungs- und Entwicklungsbüro“ COBiRTK, dem Magister Ing. Marek Czarnecki vorstand. Zu entscheiden war, welchem Betrieb die Ausführung der Arbeiten übertragen werden könnte.

Die Wahl fiel auf das ZNTK in Pila. Denn dort waren bereits früher eigene erfolgreiche Neukonstruktionen der Reihe Ok 55 sowie Umbauten vom Dampflokomotiven auf  Ölfeuerung durchgeführt worden.  Dem Vorhaben zugute kam, dass der damalige Direktor des ZNTK Henryk Godzisz zugleich überzeugter Anhänger und technischer Experte im Bereich der Dampftraktion war. Im genannten Zeitraum reparierte das ZNTK Pila in Polen die meisten Dampflokomotiven. Noch 1984 waren es über 300 Exemplare. Zur Arbeit im Projektkollektiv wurde auch der Haupttechnologe des ZNTK, Ing. Marek Furtacz, herangezogen. Er sollte die Ausführung der Rekonstruktion überwachen und die Probefahrten durchführen.

Gleichzeitig mit der Fertigstellung der technischen Dokumentation im Mai 1984 begannen die Umbauarbeiten an der ausgesuchten Lokomotive, Ty2-1285 (mit Kessel von Ty2-1088). Ty 2-1285 weilte zu dieser Zeit gerade zur  Hauptrevision im ZNTK Pila, die zum Jahreswechsel 1983-84 begonnen hatte.  

Folgende Veränderungen wurden am Kessel der Lokomotive durchgeführt:

An den Wänden der Feuerbüchse setzte man auf jeder Seite unter Wegfall der betreffenden Stehbolzen neun Luftdüsen ein. An den äußeren Enden schlossen sich Drosselklappen an, die eine Veränderung des Querschnittes der Luftkanäle von Hand ermöglichten. Außerdem wurden einige Düsen außermittig an der Stehkessel-Decke montiert, welche mit entsprechenden Klappen geschlossen werden konnten. Der Feuerschirm wurde um zwei Reihen Schamottsteine nach hinten verlängert, um eine Art Verbrennungskammer zu schaffen und den Weg der Verbrennungsgase zu verlängern. Der Aschkasten wurde so verändert, dass man ihn luftdicht verschließen konnte.  Durch den Aschkasten hindurch verlegte man zwei Rohrleitungen, deren Öffnungen kurz unter dem Rost das Einblasen von Dampf ermöglichten. Der durch sie austretende Dampf sollte die Roststäbe kühlen und gleichzeitig einen Anteil an dem Prozess der Kohlevergasung haben. Aufgrund der Ausführung als Prototyp wurde der Dampf vom Dreiwegeventil des Dampfentnahmestutzens entnommen. Für die  Zukunft war dazu Abdampf vorgesehen.

Bei traditionellen Verbrennungsprozessen sollte die Schicht der Kohle auf dem Rost nicht höher als 150 mm sein. Beim Vergasungsprozess muss hingegen die Kohleschicht 400 mm hoch sein, wobei sie gleichmäßig auf der gesamten Rostfläche zu verteilen ist.  Dieses gleichmäßige Feuerbett musste in kurzer Zeit gleich zu Beginn der Fahrt aufgebaut werden. Um die Arbeitskraft des Heizers zu schonen, wurde deshalb ein mechanischer Kohleförderer, ein sogenannter Stoker, eingebaut. Stoker waren nach Polen mit den schweren amerikanischen Güterdampflokomotiven der UNNRA-Hilfe gekommen, die bei der PKP als Baureihe Ty 246 eingereiht waren. Der modifizierte polnische Nachbau dieser Lokomotiven war die Reihe Ty 51. Diese erhielt ebenso einen Stoker wie die polnischen Nachkriegs-Reisezuglokomotiven Ol 49 und Pt 47.

Da Polen keine eigenen Stoker konstruiert hatte, kam in all diesen Fällen der durch die Ty 246 bekannte „US-Standard-Stoker HT1“ zum Einsatz[3]. Ein solcher wurde auch in die als Ty 2-gaz 1 bezeichnete erste Versuchslokomotive eingebaut.

 

ERFOLGREICHE PROBEFAHRTEN UND EINSATZ IM ALLTAGSBETRIEB

 

Nach dem Umbau führte man zuerst  Standversuche durch, bei denen man die chemische Zusammensetzung der Abgase bestimmte. Um Vergleichswerte zur herkömmlichen Verbrennung zu erhalten, wurden die neuen Luftdüsen geschlossen. Bei der Kohlevergasung, d.h. bei Zutritt von Zweitluft durch die Düsen zeigte sich, dass die neue Methode den Gehalt von Kohlenmonoxyd, Schwefel- und Stickoxyden in den Abgasen deutlich vermindert. Optisch erkennbar war das durch den gräulichen, fast farblosen Gasaustritt aus dem Schornstein. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass in der Stehkesseldecke eingebauten Düsen, welche eine größere Verwirbelung der Gase in der Brennkammer bewirken sollten, keine nennenswerte Auswirkung auf den Verbrennungsprozess hatten.

Nach Abschluss der ersten Etappe der Untersuchungen begann man mit den Lastprobefahrten. Als Versuchsstrecke wählte man die 110 Kilometer lange eingleisige Nebenbahn Pila – Kalisz Pomorski - Choszczno. Als Last dienten Kohlezüge mit einem Gesamtgewicht von 700 Tonnen. Es wurde festgelegt, zehn Probefahrten durchzuführen: fünf mit traditioneller Kohleverbrennung und fünf mit Kohlevergasung. In allen Fällen wurde dieselbe Sorte Kohle aus derselben  Liefercharge eingesetzt. Jedes Mal wurde der Tender vor und nach der Fahrt gewogen. Auf diese Weise konnte der Kohleverbrauch ermittelt werden. Da während der Probefahrten die Lokmannschaft nicht wechselte, konnte davon ausgegangen werden, dass die Bedienung der Lok  ebenfalls gleich war.

Als Ergebnis der Probefahrten wurde festgestellt, dass bei traditioneller Kohleverbrennung der Verbrauch zwischen 4,1 und 4,5 Tonnen lag. Bei gasgenerierender Verbrennung war ein verringerter Kohleverbrauch zwischen 2,8 und 3,6 Tonnen zu beobachten. Woher diese Abweichungen? Die Lokomotive fuhr äußerst ökonomisch, solange sie freie Fahrt hatte. Bei häufigen Halten, um einen außerplanmäßigen Zug aus der Gegenrichtung vorbeizulassen, entwickelte sich im Stand derart viel Dampf, dass dieser durch die Sicherheitsventile abgelassen werden musste. Während der Fahrt war das fast völlige Fehlen von Rauch festzustellen.

Nach Prüfung der Untersuchungsergebnisse gab eine Kommission des Verkehrsministeriums die Zustimmung zur Modernisierung der nächsten Dampflok Ty2-953. Diese war 1944 durch Henschel und Sohn in Kassel erbaut worden und hatte ebenfalls einen Tauschkessel. Die Arbeiten fanden zum Jahreswechsel 1985/86 statt. Dabei bekam die Lok zusätzlich zwei pneumatisch betriebene Zylinder eingesetzt, die zum Ausschlacken den Schüttelrost bewegen konnten, was die Bedienung durch das Personal erleichterte.  Auf den Einbau von Luftdüsen in die Stehkesseldecke wurde verzichtet.

Nach der Durchführung von Probefahrten auf den steigungsarmen Strecken um Pila wurde Ty 2-953 als Ty2-gaz 2 bezeichnet und zum Depot Chabówka bei Krakau überstellt, wo sie auf den steigungsreichen Strecken in den Beskiden ähnlichen Probefahrten wie zuvor bei Pila unterworfen wurde. Die Überwachung und Auswertung dieser Probefahrten geschah direkt durch Prof. Re,kawek und seinen Assistenten Ing. Czarnecki. Nach Auskunft der Personale von Chabówka ist gerade die große Dampfentwicklung in bergigem Gelände von Vorteil, so dass die Lokomotive bis heute  mit dem umgebauten Kessel fährt. Die Versuchslokomotive Ty 2-gaz 1 hingegen wurde nach Abschluss der Untersuchungen zum Depot Krzyz (Kreuz) umbeheimatet, später nach Elk versetzt und dort am 29.7.1992 ausgemustert.

TRAKTIONSWECHSEL VERHINDERT DIE OPTIMIERUNG

 

Die Autoren und die Schöpfer der Konstruktion, Prof. Re,kawek und Ing. Czarnecki, sind sich klar darüber, dass die seinerzeit durchgeführten Experimente nur einen Teil möglicher Verbesserungen beinhalteten. So hätte der Einbau einer neuen Saugzuganlage vom Typ „Lempor“ – eine Neuentwicklung von L. D. Porta auf der Basis des Lemaitre-Blasrohrs – die Wirtschaftlichkeit der Lokomotive wesentlich verbessern können.    Allerdings mussten die Arbeiten im Rahmen eines knapp bemessenen Finanzbudgets durchgeführt werden. Die Konstrukteure versuchten deshalb, mit geringen Finanzmitteln möglichst schnell vorzeigbare Ergebnisse zu präsentieren. Das ist auch, wie oben dargestellt, gelungen.

Warum hat die PKP dennoch keine Fortsetzung der Experimente  und ihre Anwendung auf eine größere Zahl der vorhanden gewesenen Dampflokomotiven genehmigt? Genaue Antworten könnten Forschungen in den Archiven der Abteilung Traktion der Hauptdirektion der Staatsbahn geben. Nach Ansicht der Autoren wurden die durch das Verkehrsministerium in Auftrag gegebenen  Experimente in der PKP-Führung nicht inhaltlich unterstützt. Dort war man vielmehr der Meinung, dass die Dampftraktion ein veraltertes Relikt sei. Sobald sich die Kraftstoffversorgung seitens der Sowjetunion wieder stabilisierte, schloss die PKP-Generaldirektion einen Kaufvertrag mit Rumänien über die Lieferung von 150 Diesellokomotiven der Serie SP 32 ab. Ob bei dieser Entscheidung auch außerhalb der Eisenbahn liegende Argumente mitbestimmten, vermögen die Autoren nicht sicher zu sagen. Wie allgemein bekannt erwartete Polen für seine Warenlieferungen nach Rumänien innerhalb des sozialistischen „Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ RWG Gegenleistungen. Doch die Rumänische Industrie hatte außer Diesellokomotiven nicht viele interessante Waren zu bieten. Wie auch immer - damit war die mögliche Einsetzung ökonomisch und ökologisch vorteilhafter Dampflokomotiven de facto zugunsten der Dieseltraktion vorab entschieden.

Nachdem die PKP trotz eindeutig vorteilhafter Parameter auf die Grosseinführung der Forschungsergebnisse verzichtete, nutzte Prof. Re,kawek  1986/87 die Chance zu weiteren Umbauten, als sich die Verwaltung der Marmeladenfabrik des Kombinats von Czempin meldete. Die zuständige Aufsichtsbehörde hatte wegen der Umweltbelastung durch Abgase Bedenken gegen die Einsetzung von Dampflokomotiven als stationäre Heizkessel geäußert. Darauf hin baute das ZNTK Pila nach den Konstruktionsplänen Prof. Re,kaweks zwei Dampflokomotiven der Reihe Ty 2 sowie eine Lokomotive der Reihe Pt 47 auf Kohlevergasung um. Auf dem Gelände der Marmeladenfabrik wurden die drei Lokomotiven zu einem zusammenhängenden Ensemble verbunden, wobei die Pt 47 in der Mitte stand. Die gleichmäßige Befeuerung wurde über  ein mechanisches Förderband bewerkstelligt. Wie erwartet wurden die durch die Aufsichtsbehörden gewünschten Abgaswerte nunmehr eingehalten. Die stationären Lokomotiven taten bis Mitte der 90er Jahre fehlerfrei ihren Dienst, als das Kombinat durch westliche Investoren privatisiert und modernisiert wurde.

In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte sich Prof. Re,kawek noch mit der Konstruktion einer komplett neuen Dampflokomotive, deren Wirkungsgrad sogar bei 15 % liegen sollte. Diese Lokomotive sollte im ZNTK Pila gebaut werden. Doch mangelndes Interesse seitens der PKP, der voranschreitende Traktionswechsel und der Tod des Professors  verhinderten die Realisierung dieses interessanten Projekts. Auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen beabsichtigen wir jedoch, in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur und Vater der  Anwendung von Kohlevergasung in Dampflokomotiven, L. D. Porta, die Experimente wieder aufzunehmen. Zunächst beabsichtigen wir den Umbau einer Dampflokomotive der Deutschen Reichsbahn, Baureihe 50.35, auf Holzvergasung. Sollten sich die positiven Ergebnisse der beiden Ty 2-gaz weiter verbessern lassen, so halten wir den Neubau einer komplett neukonstruierten,  hochmodernen Dampflok durchaus für möglich und – unter den genannten Prämissen von Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit, Wartungsarmut und Benutzerfreundlichkeit – auch durchaus für sinnvoll. 

 



[1] auf polnisch Politechnika Warszawska, Instytut Pojazdów sowie Instytut Techniki Cieplnej

[2] siehe u.a. Livio Dante Porta, Steam Locomotive Development in Argentina: its Contribution to the Future of Railway Technology in Under-developed Countries. Paper No 721. In: Journal of The Institution of Locomotive Engineers, London 59 (1969), S. 204-256

Roger M. Waller, Weiterentwicklung der Dampflokomotive: Erfolgreicher Umbau in Südafrika (Themenheft Forschung und Technik). In: Neue Zürcher Zeitung, Zürich 203(1983) 109 (11.Mai) S. 71

David Wardale, the Red Devil and other Tales of the Age of Steam 522 S., ill. Eigenverlag, Inverness 1998, ISBN 0-9529998-0-3

Bernard Escudié, Jean Gréa (éd.), Thermodynamique et locomotives à vapeur : l’œuvre d’André Chapelon 1892-1978 (Colloque national CNRS 6-9 juillet 1987 tenu au Musée francais du chemin de fer à Mulhouse) 432 S.,ill. Èditions du CNRS, Paris 1989. ISBN 2-222-04284-4

[3] Die amerikanischen Konstruktionszeichnungen aus dem Archiv des Dampflok-Reparaturwerk ZNTK Olesnica (Oels) liegen INTERLOK vor. Im Einsatz brachen die Förderschnecken unverhältnismäßig oft. Heutige Technologien erlauben das Fräsen einer Förderschnecke aus beständiger Metalllegierung, was die Lebensdauer von Stokern erheblich verlängert.